Das Orakel Des Todes by John Maddox Roberts
Autor:John Maddox Roberts
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
ISBN: 3442456851
Herausgeber: Goldmann Verlag
veröffentlicht: 2005-09-11T22:00:00+00:00
VIII. Kapitel
Julia war nicht gerade erbaut über meinen Ausflug in die Unterwelt, aber sie war nicht so wütend, wie ich befürchtet hatte.
»Es war nicht besonders weise von dir, die Gepflogenheiten des Orakels zu missachten und eine heilige Stätte wie eine heruntergekommene Mietwohnung in der Subura zu behandeln. Iola ist außer sich, und sie wird dich garantiert wegen dieses Sakrilegs anklagen, sobald du dein Amt niedergelegt hast.« Während meiner Amtszeit war ich selbstverständlich gegen jede strafrechtliche Verfolgung immun, doch sobald ich mein Amt niedergelegt hatte, war ich für jedermann Freiwild und konnte mit Klagen überzogen werden.
»Aber Julia, wir wissen doch bereits, dass diese heilige Stätte betrügerischen Zwecken dient. Wie es aussieht, wird sie seit Jahren missbraucht, um gutgläubige Leute zu schröpfen und einige von ihnen sogar umzubringen.«
»Wir wissen gar nichts. Wir haben berechtigten Anlass zu glauben, dass zumindest einige Tempeldiener das Orakel gelegentlich aus Profitgier missbraucht haben und möglicherweise sogar Mord im Spiel ist, aber das beeinträchtigt die Heiligkeit dieses Ortes nicht im Geringsten.«
»Hekate muss eine ziemlich armselige Göttin sein, wenn sie derartige Vorfälle in ihrem Heiligtum duldet. Sie gilt doch eigentlich als Furcht erregend. Warum hetzt sie nicht ihre schwarzen Hunde auf die Übeltäter. Sie sind schließlich diejenigen, die das Sakrileg begehen, nicht ich.«
Trotz meines eindeutig sarkastischen Tonfalls schien Julia diese Überlegung für durchaus erwägenswert zu halten. »Die Götter strafen nicht unbedingt jede Tat sofort. Sie sind unsterblich, Zeit bedeutet ihnen nichts. Sie warten gerne den rechten Augenblick ab und denken sich eine passende Strafe aus. Erinnerst du dich noch, als Crassus sein Amt dazu missbraucht hat, eine Weissagung der Sibyllinischen Bücher zu fälschen? Zunächst ist er verschont geblieben, doch sein Feldzug in Syrien endete mit einer katastrophalen Niederlage.«
»Das wäre aber eine ziemlich grausame Strafe der Götter gewesen«, stellte ich fest. »Zehntausende römischer Legionäre und Tausende Soldaten der Hilfstruppen zu töten, bloß um einen verrückten alten Mann zu bestrafen.«
»Aufgrund ihrer Unsterblichkeit haben die Götter ein für uns mitunter eigentümliches Verständnis von Proportionen. Aber sie lassen sich nicht verhöhnen oder für fremde Zwecke missbrauchen.«
»Hekate stammt aus Thrakien. Ob sie überhaupt weiß, was in Italia vor sich geht?«
»Also wirklich, Decius, du hast merkwürdige Vorstellungen von den Göttern. Als ob sie einfach nur übergroße, mit Unsterblichkeit und zusätzlicher Macht ausgestattete Lebewesen wären. Eine derartige Vorstellung darf man vielleicht bei Primitiven und unwissenden Bauern erwarten, aber nicht von einem gebildeten Römer der herrschenden Klasse.«
»Wir können schließlich nicht alle Philosophen sein«, entgegnete ich, doch in Gedanken war ich längst woanders. Mir ging alles Mögliche im Kopf herum, und ich versuchte verzweifelt, all meine Erkenntnisse irgendwie zu einem Ganzen zusammenzufügen. Mörder und Tunnel, Belüftungsschlitze in den Decken und Miniaturpfeile, jahrhundertealte Feindschaften und die allgemeine Vorbereitung auf einen Bürgerkrieg, ein unterirdischer Fluss mit einer heimtückischen Strömung und alle möglichen anderen Dinge, die einfach keinen Sinn ergaben. Aber ich war sicher, dass sie mir das Geheimnis enthüllten, wenn ich sie nur in der richtigen Ordnung zusammensetzte, vielleicht ergänzt um einige noch fehlende zusätzliche Erkenntnisse.
»Decius?«, fragte Julia.
»Ja, was denn?«, entgegnete ich zerstreut.
»Du könntest genauso gut in Kappadokien sein«, stellte sie entrüstet fest.
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